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Interview: Bernhard Kittel kritisiert das neue Arbeitszeitgesetz

Im Interview mit der „Furche“ äußert sich Vizedekan Bernhard Kittel kritisch gegenüber dem neuen Arbeitszeitgesetz und bezweifelt das Prinzip der Freiwilligkeit. Er ortet eine Spaltung zwischen „Insidern“ und „Outsidern“ sowie eine Abkehr von der Kompromiss-Kultur.

Die Furche: Die Arbeitgeberseite und die Regierung behaupten, dass das neue Arbeitszeitgesetz wenig an der aktuellen Situation ändern wird. Weshalb beschließt man ein solches, wenn von vornhinein klar ist, dass die Auswirkungen gering sein werden?
Bernhard Kittel: Mit dem neuen Gesetz ändert sich die Ausgangslage bei Konflikten über die Ausweitung der Arbeitszeit. Früher war die Auslegung restriktiv. Der Arbeitgeber musste dem Mitarbeiter mehr zahlen oder durch Zeitausgleich abgelten. Die Freiwilligkeit der 11. und 12. Stunde ist eine Augenauswischerei, weil bei mehrfacher Ablehnung der Arbeitnehmer riskiert, gekündigt zu werden. Der Kündigungsschutz ist in Österreich im Vergleich zum Beispiel zu Deutschland eher schwach ausgeprägt. Es wird bestimmt weiterhin Unternehmen geben, die fair sind. Doch für diese ist das Gesetz, dessen Grundgedanke ist, Arbeitnehmern einen zusätzlichen Mindestschutz zu bieten, nicht da.

Sehen Sie im neuen Gesetz einen Paradigmenwechsel?
Ja, das neue Arbeitszeitgesetz ist eine Abkehr von der österreichischen Praxis des Suchens nach Lösungen, mit denen beide Seiten leben können. Die Sozialpartnerschaft war nie eine heile Welt, sondern eine Form, in der Konflikte bearbeitet wurden – vor dem Hintergrund, dass man es nur gemeinsam schaffen kann. Was mich irritiert, ist, dass das neue Gesetz ohne Rücksichtnahme auf die Arbeitnehmerinteressen durchgesetzt wurde.

Die Regierung bezichtigte die Arbeitnehmerseite, dass sie sich 2017 nicht auf einen Kompromiss einigen wollte.
Ein Kompromiss ist immer eine Einigung, mit der beide Seiten gleich gut oder schlecht leben können, und es kommt darauf an, was man als Kompromiss ansieht. Ich sehe das als einen Versuch, dem Verhandlungspartner die Schuld am Scheitern umzuhängen.

Was sagt die EU-Arbeitszeitrichtlinie zum neuen Arbeitszeitgesetz?
Wir bewegen uns weiterhin innerhalb dieser Richtlinie, die einen EU-Mindeststandard festlegt, der sich eher am untersten als am oberen Ende der Skala orientiert. Österreich liegt bei sozialen Standards über dem europäischen Durchschnitt. Diese Errungenschaft macht das Leben in Österreich so lebenswert und sie ist auch ein wichtiger Standortfaktor. Das neue Arbeitszeitgesetz ist ein Schritt in Richtung Abbau von Standards.

Sehen Sie in dem neuen Gesetz einen Fortschritt?
Nein, ganz im Gegenteil. Wir nähern uns mit dem neuen Gesetz der Situation der 1960er-Jahre. Mit dem Arbeitszeitgesetz von 1969 wurde die 40-Stunden-Woche mit relativ wenig Spielraum eingeführt. 1997 wurden diese Regelungen im Interesse beider Seiten flexibilisiert, indem die Gestaltung der Arbeitszeit auf die Kollektivvertragsebene verlagert wurde. Von dieser Möglichkeit wurde sowohl im Sinne der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer vielfältig Gebrauch gemacht.

Wann und wie sind die Konsequenzen aus den Änderungen spürbar?
Kurzfristig wird sich wenig ändern, da Kollektivverträge gelten und die Auftragslage dank der Konjunktur stabil ist. Die Änderungen kommen mittelfristig auf jene zu, die den Anforderungen nach Mehrleistungen nicht nachkommen können. Ob die Möglichkeiten des Gesetzes genutzt werden, hängt letztlich von den Unternehmen ab. Je mehr Autonomie ein Arbeitnehmer in einem Unternehmen hat, desto weniger wird er das Gesetz spüren.

Das ganze Interview von Christopher Erben von der Wochenzeitung „Die Furche“ mit dem Wirtschaftssoziologen Bernhard Kittel können Sie in der Ausgabe vom 18. Oktober 2018 nachlesen.