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Mindestsicherungsreform: Wissenschaftler üben heftige Kritik


WissenschaftlerInnen verschiedener Fachrichtungen und Institutionen warnen vor negativen Auswirkungen der Mindestsicherungsreform. Sie orten massive Ungleichbehandlung bestimmter Gruppen und eine Verstärkung der Armutsgefährdung in Österreich.

Prof. Bernhard Kittel, Vizedekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, kritisiert den Gesetzesvorschlag der Bundesregierung, der bestimmte Sprachkenntnisse für den Erhalt von Sozialleistungen, eine Wartefrist für EU-BürgerInnen sowie Änderungen bei Kinderzuschlägen vorsieht. Dem Wirtschaftssoziologen zufolge ist die Mindestsicherung die einzige Absicherung für AsylwerberInnen mit Bleiberecht in der Phase, in der sie versuchen, die Zugangshürden zum österreichischen Arbeitsmarkt zu überwinden.

Mindestsicherung ist keine „soziale Hängematte“

Prof. Kittel zweifelt am Ziel der Bundesregierung, MindestsicherungsbezieherInnen durch erhöhten Druck wieder in den Arbeitsmarkt zu drängen. Ein beträchtlicher Teil der BezieherInnen falle wegen gesundheitlicher Einschränkungen weg, viele andere würden an „inoffiziellen Altersgrenzen“ des Arbeitsmarktes scheitern. „Das angeblich angenehme Leben in der sozialen Hängematte ist in Wirklichkeit ein unheimlich prekäres Leben an der Kante des Abgrunds“, so Kittel.

Auch die weiteren WissenschaftlerInnen, die am Dienstag an einem Pressegespräch teilnahmen, finden an der Mindestsicherungsreform kein Gefallen. Prof. Christoph Reinprecht (Uni Wien), Prof. Alyssa Schneebaum (WU), Prof. Christine Stelzer-Orthofer (Johannes Kepler Universität Linz) und Prof. Emmerich Talós (Uni Wien) bezeichnen die geplanten Änderungen als „Wohlfahrtschauvinismus“ und befürchten eine Unterminierung des sozialen Zusammenhalts.
 

Medienberichte: Wissenschafter kritisieren "Wohlfahrtschauvinismus" (Kleine Zeitung); Kritik von vielen Seiten an Reform der Mindestsicherung (ORF.at); Kritik an der „Mindestsicherung neu" (FM4);  Forscher kritisieren Sozialabbau (ORF-Science)

 

Subjektive Wahrnehmungen von BezieherInnen der Mindestsicherung
Prof. Kittel und Stefanie Stadlober vom Institut für Höhere Studien IHS gehen in einem Blogeintrag auf die Auswirkungen der geplanten Mindestsicherungsreform auf geflüchtete Menschen ein. Das unterste Auffangnetz des österreichischen Sozialsystems sei für viele Asylberechtigte der einzige Weg der Existenzsicherung.

A&W-Blog: (7.1.2019) Zwischenstation Mindestsicherung: Geflüchtete Menschen am Weg in den österreichischen Arbeitsmarkt; (10.1.2019) Leben in der Bedarfsorientierten Mindestsicherung
 

Die Autoren verweisen auf ihre vor Kurzem erschienene Studie, in der MindestsicherungsbezieherInnen zu subjektiven Wahrnehmungen und Erfahrungen befragt wurden. Dabei stellte sich heraus, dass der Alltag der interviewten Asylberechtigten von ihren Bemühungen geprägt ist, mit den Zuwendungen aus der Mindestsicherung auszukommen. Die Dauer des Verbleibs in der Mindestsicherung sei dabei weniger von individuellen Faktoren als von institutionellen Hürden abhängig. Die Forscher kommen zum Schluss: „Eine Politik, die auf die Minimierung der Ausgaben für die Bedarfsorientierte Mindestsicherung abzielt, muss daher insbesondere in den Deutschunterricht und in die auf das Wesentliche fokussierende Prüfung und Anerkennung von Qualifikationen investieren.“

Die Studie zum Nachlesen: „Die subjektive Erfahrung des Bezugs der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Niederösterreich: eine interviewbasierte Analyse“